Wilhelm Gebetsroither

1915-2004, ein Leben für Orgel und Kirchenmusik

Am 26. Juli 2015 fand zum Gedenken an den 100. Geburtstag dieses so verdienstvollen oststeirischen Kirchenmusikers in der Pfarrkirche St. Johann bei Herberstein ein Gedächtniskonzert statt, bei dem auch in Form eines Rückblicks des Lebens und Wirkens von Wilhelm Gebetsroither gedacht wurde. Die folgenden Zeilen stellen einen überarbeiteten Auszug dar und beleuchten vor allem die Zeit, bevor Gebetsroither seine Tätigkeit in St. Johann bei Herberstein begann, die beruflich durch die Schulleitung an der Volksschule dieses Ortes zwischen 1945 und 1975 ihren Höhepunkt fand.

Vorau, Herkunft - Jugend - erlebte Kirchenmusik
Die Kindheit verlief gleichsam im Schatten der großen Orgel der Stiftskirche Vorau, erbaut 1890. Sie war damals eines der modernsten Werke ihrer Zeit. Als 131. Orgel aus der Werkstatt Matthäus Maurachers in Salzburg, die ja noch mit Anton Bruckner in Verbindung stand, war die Vorauer Orgel mit ihren 42 Registern auf drei Manualen und Pedal die erste Kirchenorgel der Steiermark mit Kegelladen und pneumatischer Traktur.
Am 22. Juli 1915 erblickte Wilhelm Gebetsroither in Vorau das Licht der Welt. Seine Eltern waren Johann Gebetsroither (1875 – 1944), aus Weyeregg am Attersee (OÖ) stammend, und Hedwig, geborene Reithofer (1885 – 1971). Wilhelm Gebetsroither hatte einen älteren Bruder, Franz Gebetsroither (1911 – 1983), als Mediziner zeitweilig Primarius in den Krankenhäusern von Vorau und Kainbach bei Graz. Auch er war viele Jahre seines Lebens als Kirchenmusiker aktiv.


Johann Gebetsroither war von 1902 bis 1944 Stiftsorganist und Stiftskapellmeister in Vorau. Jeden Sonntag und Feiertag gab es ein musikalisches Hochamt,
also Proprium und Ordinarium von Chor, Orchester und Orgel ausgeführt, dazu noch Andachten, Vespern und vor allem viel und gute Orgelmusik im Stil der damaligen Zeit.
Die damalige Kirchenmusik des Stiftes Vorau war durch einen Vorgänger Johann Gebetsroithers, dem Chorherrn Norbert Lampel, entscheidend im Sinne des Cäcilianismus geprägt worden und strebte eine Aufwertung der Qualität und Rückbesinnung auf die Polyphonie der Vorklassik an, gepaart mit der verstärkten Hinwendung zum gregorianischen Choral.

Auch in Vorau wurden in diesen Jahren dennoch die Streicherbesetzungen gepflegt, und selbst in Landgemeinden konnte nur dann jemand ein richtiger Musiker werden, wenn er vor der Trompete oder dem Flügelhorn wenigstens Ansätze zum Geigenspiel gezeigt hatte. Im Ausspruch, dass nur der ein richtiger Musiker sei, der auch „die Geigen brauchen“ könne, wird viel von der damaligen Musikpädagogik deutlich.

Auch Wilhelm Gebetsroithers musikalische Schulung, die vor allem durch seinen Vater erfolgte, beschränkte sich nicht nur auf die Tasteninstrumente Orgel und Klavier, sondern umfasste auch Violine und Horn.
Wilhelm Gebetsroithers Kindheit und Jugend war in vieler Hinsicht auch von Entbehrung und Loslassen geprägt. Mit zehn Jahren übersiedelte er vom elterlichen Wohnbereich des Stiftes Vorau in ein karges Zimmer im Schloss Klaffenau bei Hartberg, denn nur so war es für ihn möglich, damals einen Hauptschulabschluss zu erreichen. Vom Schloss Klaffenau fuhr er mit dem Fahrrad oder ging zu Fuß in die Stadt Hartberg, um dort die Hauptschule zu besuchen. Freilich hatte man ihn schon zu dieser Zeit auch
mit kleineren und später auch größeren Orgeldiensten in der Klosterkirche und zeitweilig auch in der Stadtpfarrkirche von Hartberg versorgt. So war er in den Jahren 1926 bis 1930 nur in den Ferienzeiten im heimatlichen Vorau, wo auch die musikalische Fortbildung weiter gepflegt wurde. Sein Vater war hinsichtlich der Orgeldienste seines Sohnes in der
Stiftskirche sehr zögerlich, und es bedurfte des Einschreitens des Propstes des Stiftes Vorau, um den jungen Willi zum legalen Orgeldienst in der Stiftskirche heranzuziehen, wurde er doch anlässlich eines „geheimen“ Einsatzes bei einer nachmittäglichen Segensandacht in der Stiftskirche vom Propst selbst beobachtet.

Für Wilhelm Gebetsroither war schließlich der 18. August 1927 ein denkwürdiger Tag, denn mit zwölf Jahren offiziell den Orgeldienst während eines Pontifikalamtes im Stift Vorau, noch dazu bei der Aufführung von Mozarts Krönungsmesse versehen zu dürfen, war schon eine große Sache. Nach dieser „Aufnahmsprüfung“ durch den strengen Vater entwickelte sich schon ein eher partnerschaftliches Verhältnis, in dem oft auch während einer Messe die Orgeldienste „aufgeteilt“ wurden.

Wenn wir auf die Vorauer Kirchenmusikpraxis zurückkommen, dann vor allem deshalb, um uns jene Namen von Komponisten in Erinnerung zu bringen, die später Gebetsroithers musikalischen Lebensweg im Bereich der Chorpraxis begleiten sollten. Neben den Klassikern, die sich trotz der Bemühungen des Cäcilianismus halten konnten, waren es vor allem die Werke von Bruckner, Habert, Witt, Grießbacher, Führer, Kempter, Zangl, Filke, Gruber oder Nußbaumer, die später auch ihren Weg auf den Kirchenchor von St. Johann bei Herberstein fanden oder schon vorher hier gepflegt wurden.
Aber auch die Orgel, seit der Kindheit Gebetsroithers Lieblingsinstrument, hatte schon durch das „Motu proprio“ des Papstes Pius X. im Jahre 1903 eine Aufwertung erfahren, wenn auch die eigentliche Musik der Kirche weiterhin die reine Vokalmusik bleiben sollte.
Ergänzend zu seinem Vorgänger schreibt Papst Pius XI. 1929 über die Orgel:
„Die Orgel wurde wegen ihrer geradezu wunderbaren Klangfülle und Erhabenheit für würdig erachtet, bei den liturgischen Handlungen mitzuwirken, sei es zur Begleitung des Gesanges, sei es, um bei Schweigen des Chores nach den gegebenen Vorschriften anmutige Töne erklingen zu lassen.“ (Divini cultus sanctitatem)
Wilhelm Gebetsroither überliefert, wie zur Zeit seines Vaters, dass der Gebrauch der einzelnen Register der Stiftsorgel einer genauen Ordnung unterlag. Dies war für Gäste an der Orgel oft nicht ganz einsichtig. Doch zeigt der selektive Umgang mit der Klangkapazität, dass schon aus dem mächtigen oder eher verhaltenen Klang der Orgel jedem Kirchenbesucher die Bedeutung oder der Anlass der jeweiligen Tagesmessen und Andachten vermittelt wurde.

 

Das volle Plenum mit allen Koppeln wurde nur bei Pontifikalhochämtern und an hohen Feiertagen gespielt. Bei den Sonntagsmessen, der Kirchenjahreszeit angemessen, wurde höchstens mit Plenum ohne Zungen und Cornett gespielt.
Der Volksgesang wurde in Vorau sehr grundtönig begleitet. Bei der sonntäglichen Frühmesse, die vor allem von der bäuerlichen Bevölkerung der Umgebung besucht wurde, ergab sich in der Zwischenkriegszeit eine zudem sehr konventionelle Liedeinteilung. Man sang jahrelang zu allen Zeiten des Kirchenjahres eine „Deutsche Messe“, auch „Haydn-Messe“ genannt.

Grundsätzlich begleitete man in Vorau den Volksgesang vom ersten oder zweiten Manual aus, wechselte auch im Lied zwischen den Versen die Manuale und registrierte je nach Lied und Inhalt bei Bedarf auch nach. Dadurch wurde dem Liedgut eine manchmal sogar dramatische Stimmung zugesetzt. Im I. Manual verwendete man auf jeden Fall: Principal 8’, Viola Baritona 8’ und Gemshorn 4’. Das Register Oktave 4’ war nur zur besonderen Steigerung vorgesehen. Im II. Manual waren die Register Lieblich Gedackt 16’, Gamba 8’, Dolce Flauto 8’ und Viola 4’ obligat.


An den gewöhnlichen Feiertagen wurde oft auch auf die Principale verzichtet, jedoch war das Cornett zu hören. Die Wochenämter spielte man ebenfalls grundsätzlich ohne Mixtur, Cornett und Zungen.

Für die Chorbegleitung waren in der Regel folgende Register vorgesehen:
I. Manual: Doppelflöte 8’, Flauto 4’
II. Manual: Lieblich Gedackt 16’, Dolce Flauto 8’, Viola 4’
III. Manual: Salicional 8’ und Salicet 4’

Selbstverständlich wurde auch hier nachgebessert, wenn es die Situation erforderlich machte.
Eine eigene Stimmung wurde zu den Segensandachten am Nachmittag verbreitet. Bei diesen Anlässen spielte man nur die leisen 8’-Stimmen des III. Manuals und verstärkte bei Bedarf lediglich mit Salicet 4’.
Natürlich wurde das Schweigen der Orgel in der Karwoche streng eingehalten. Doch gab es wohl wegen gesanglicher Probleme während der doch sehr anspruchsvollen Choralmusik der Trauermetten die Ausnahme, die Choräle „Jerusalem“ mit den Registern Salicional 8’ und Dolce 8’ des III. Manuals zu begleiten.

Wien „Lehrerausbildung-Orgelstudium“
Im Jahre 1930 kommt Wilhelm Gebetsroither nach Wien, um dort in der Privatlehranstalt des Katholischen Schulvereines in der Semperstraße (18. Bezirk) seine Ausbildung zum Pflichtschullehrer zu absolvieren. Gleichzeitig übernimmt er mit 15 Jahren den Organistendienst an der Wallfahrtskirche am Kaasgraben im 19. Wiener Gemeindebezirk. Hier stand ihm eine vor vier Jahren aufgestellte Orgel der Werkstätte Cäcilia AG aus Salzburg zur Verfügung (24 Register).

Schon zwei Jahre später, im 17. Lebensjahr, gründete er an der Kaasgrabenkirche einen eigenen Kirchenchor mit über 20 Sängern. Nun konnte er seine Erfahrungen und Erlebnisse aus seiner Vorauer Kindheit in die eigene Praxis umsetzen.

 

Aber auch neuen Einflüssen war Gebetsroither in seiner Wiener Zeit sehr aufgeschlossen. Neben den jeweils neuesten Orgelkompositionen, die er schon in Vorau bei seinem Vater kennenlernen konnte, verwendete er viele dieser Orgelalben noch in St. Johann oder improvisierte daraus.
Durch die Aufgeschlossenheit des Kirchenrektors an der Kaasgrabenkirche war es schon damals möglich, die Deutsche Betsingmesse einzuführen, angeleitet durch die volksliturgische Bewegung, die von Pius Parsch und dem Chorherrenstift Klosterneuburg ausgegangen war.

Erinnerlich blieb Gebetsroither u. a. auch die Aufführung von Josef Lechthalers „Wiener Singmesse für das deutsche Volk“ (op. 33), die 1933 für das österreichweit gefeierte Jubiläum der erfolgreichen Abwehr der osmanischen Truppen vor Wien komponiert und auch in der Kaasgrabenkirche aufgeführt wurde.

Gerne erinnerte sich Gebetsroither auch an seine eigenen ersten Musikerlebnisse als Zuhörer, so am 2. November 1930, als er erstmals Mozarts Requiem im Stephansdom erleben konnte oder ein Jahr später die „Missa Solemnis“ von Beethoven. Er ging damals oft in Konzerte, meist auf Stehplatz. Am 10. Mai 1931 konnte er erstmals zu einem eigenen Kirchenkonzert in die Kaasgrabenkirche einladen. So viel an kirchenmusikalischem Ernst von seinen Kirchenoberen gefordert wurde, so sehr erkannten und
unterstützten sie aber auch das Talent ihres jungen Kirchenmusikers.

Gebetsroithers Können als Organist war auch in der Lehranstalt nicht unbemerkt geblieben, aber auch sein Talent als Sänger wurde von seinem Lehrer Gustav Anton Plobner sehr gefördert. So trat er auch mehrfach als Solist auf, so z. B. im Mozartsaal des Wiener Konzerthauses.
In Wien hatte Wilhelm Gebetsroither auch Gelegenheit, die damals bedeutendsten Orgeln der Stadt kennen zu lernen. Er bespielte unter anderen die große Orgel im Wiener Konzerthaus mit ihren 116 Registern auf fünf Manualen und Pedal, erbaut 1913 von Gebrüder Rieger, oder die 1945 zerstörte große Orgel in der Dom- und Metropolitankirche St. Stephan mit 90 Registern, erbaut von Walcker. Natürlich lernte er auch die historische Festorgel von Klosterneuburg kennen, erbaut 1642, und spielte bei Hochämtern die dortige Chororgel, damals von Cäcilia AG mit 34 Registern.
So genügte ihm sehr bald der Musikunterricht an der Lehrerbildungsanstalt nicht, und auf Anraten seiner Lehrer nahm er Orgelstunden bei Organisten der Wiener Musikakademie. Zuerst kurz bei Franz Schütz, wechselte er jedoch bald zum Domorganisten Karl Walter, der Gebetsroithers Talent zur Improvisation erkannte und in der Folge besonders förderte. Walters Wertschätzung, die auf parallelen musikalischen Eigenschaften beruhte, sollte sich gegenüber seinem Schüler Gebetsroither noch Jahrzehnte später besonders manifestieren, als Lehrer und Schüler auf ausdrücklichen Wunsch Walters anlässlich der Weihe der neuen Stiftsorgel von Vorau im Jahre 1960 gemeinsam ein Orgelkonzert gaben.
Für uns Junge ist es fast unglaublich, wenn wir nochmals kurz auf Gebetsroithers Organistendienst in der Wiener Kaasgrabenkirche zurückkommen, wo der Jubilar täglich vor Schulbeginn zwei Gottesdienste und an Sonn- und Feiertagen bis zu sieben Orgeldienste zu versehen hatte. Das war ein kirchenmusikalischer Alltag, der neben Gewissenhaftigkeit und Pünktlichkeit wohl sehr oft auch Demut im Umgang mit Klerus und Gottesdienstgemeinde verlangte. Hatte noch der Sommer 1935 für Wilhelm Gebetsroither eine einmalige Überraschung gebracht – Orgelbaumeister Matthäus Mauracher nahm den gerade auf Ferien weilenden Wilhelm nach der Orgelreparatur in Vorau im August 1935 nach Salzburg mit, um ihm die dortigen Orgeln zu zeigen und ihm einige Festspielaufführungen zu ermöglichen –, so galt es ein Jahr später auch vom lieben Wien Abschied zu nehmen.

Inmitten der Vorbereitungen zur abschließenden Matura an der Lehrerbildungsanstalt gab Gebetsroither am 7. Juni 1936 noch einmal ein Kirchenkonzert in der Wiener Kaasgrabenkirche, wo er auf sechs arbeits- und lehrreiche Jahre als Kirchenmusiker zurückblicken konnte.

Steiermark „Heimkehr-Krieg“
Wilhelm Gebetsroither beendete also 1936 seine Ausbildung zum Pflichtschullehrer und kehrte in seine Heimat zurück. Seine erste Stelle konnte er 1938 als Lehrer in Wenigzell antreten. Seiner Stiftsorgel Vorau nahe genug, kehrte er natürlich immer wieder an den Ort seiner ersten Orgelbegegnung zurück, wie er dies auch später von St. Johann aus noch tat, von wo er nach 1945 zu rund 150 Hochämtern als Festorganist geladen wurde und somit bis in die Gegenwart mit dem Chorherrenstift Vorau in Verbindung blieb.

Das Jahr 1938 brachte auch die politisch einschneidendste Wendung im Leben des jungen Gebetsroither. Hatte er schon im Februar 1934 die politischen Unruhen in Wien, vor allem die Kämpfe um den Karl-Marx-Hof in Wien-Heiligenstadt aus gar nicht so weiter Entfernung miterleben müssen, so kam es 1938 auch für ihn, den die große Politik eigentlich gar nicht so richtig interessierte, sehr bald zur ersten Nagelprobe.

Schon am 1. September 1938 wurde er von Wenigzell an die Volksschule St. Johann bei Herberstein versetzt, wo ein damals absolut verlässlicher Parteigänger der NSDAP als Schulleiter fungierte. Dieser hatte längst den Organistendienst an der Pfarrkirche quittiert, um den neuen politische Verhältnissen zu entsprechen und wollte natürlich nicht, dass sein Unterlehrer diese Stelle einnahm. Als nun im Herbst 1940 das erste Kriegsopfer zu beklagen war, baten die Angehörigen den jungen Lehrer, wenigstens zu dieser Totenmesse – der junge Soldat war ja für das Deutsche Reich den Heldentod gestorben – in der Pfarrkirche zu spielen. Das führte auch prompt zur Anzeige des Schulleiters bei den Schulbehörden in Hartberg und einem sodann erlassenen Orgelverbot am Dienstort.

Stattdessen musste er zu den Zeiten der kirchlichen Feiern die Parteiarbeit mit der HJ verstärkt übernehmen, was aber im benachbarten Stubenberg zu manchem Kirchgang in der dortigen Pfarrkirche führte.

So musste auch diesem Übelstand Abhilfe getan werden, indem Wilhelm Gebetsroither im Herbst 1941 als provisorischer Schulleiter nach Pecel/Hölldorf im heutigen Slowenien geschickt wurde, wo er noch zwei weitere Volksschulen zu betreuen hatte. In der Folge wurde er zur Deutschen Wehrmacht eingezogen und hatte, wie viele andere auch, den damals regulären Kriegsdienst zu leisten, den er im Mai 1945 in Lienz als Unteroffizier beenden konnte, er war ja noch im österreichischen Heer 1936/37 als einjährig Freiwilliger eingerückt gewesen.

Im Mai 1945 fand er sich schließlich im Gefangenenlager Lienz wieder, aus dem er nächtens entschwand und sich im Pfarrhof der Stadt Lienz einquartieren konnte, wo er den kirchenmusikalischen Dienst sofort aufnahm. Die Aufführung der G-Dur-Messe von Franz Schubert am Pfingstsonntag 1945 endete mit der Verhaftung gleich nach der Messe, und der Stadtpfarrer von Lienz hatte in der Folge alle Hände voll zu tun, um für seinen Musikus endlich entsprechende Papiere zu beschaffen, die ihm einen legalen Aufenthalt und später die Übernahme einer Lehrerstelle in Aussicht stellen konnte. Noch aber stand seine Heimreise bevor, die er nach einer abenteuerlichen Fußwanderung am 12. August 1945 in Vorau beendete.

St. Johann b. Herberstein „Schulleitung - Heirat - Kirchenmusiker“

Nun hatte er beruflich die Entscheidung zu treffen, zwischen einer Lehreranstellung in Lienz, Vorau oder einer durch den damaligen Bürgermeister Johann Allmer bereits erwirkten Schulleiterstellung in St. Johann bei Herberstein zu wählen, für die er sich schließlich entschied. Schon am 6. Jänner 1946 folgte auch schon seine Hochzeit mit Margarethe Riegerbauer in St. Johann bei Herberstein. Sie stammte aus dem dem Schulhaus benachbarten Traditionsgasthof Riegerbauer, wo sich in der Folge auch durch dessen Beliebtheit als Sommerfrischeort viele wichtige Kontakte ergaben, so war z. B. der bekannte, aus der Oststeiermark stammende Chorherr und Musikprofessor Andreas Weißenbäck (1880 – 1960) schon seit 1930 regelmäßiger Sommerurlauber und blieb es bis wenige Jahre vor seinem Tod. Dazu kamen noch weitere Sommerurlauber, wie der Glockenexperte Josef Pfundner, der Philharmoniker Karl Stierhoff, den Gebetsroither schon aus seiner Wiener Zeit kannte, oder die nicht minder bekannte Sängerin Herta Töpper, um nur einige zu nennen.
Als Wilhelm Gebetsroither im Herbst 1945 in der Pfarrkirche von St. Johann bei Herberstein seine Tätigkeit begann, fand er einen Kirchenchor von rund 20 Sängern vor, dazu einige Bläser, die fallweise eingesetzt werden konnten. Zu den ersten Neuerungen ist vor allem die festliche Christmette zu Weihnachten 1945 erwähnenswert oder die Aufführung des Osterliedes von Karl Kempter zu Ostern 1946. Schon im Sommer 1946 konnte durch das Verständnis des damaligen Pfarrers Thomas Fekonja die Orgel einer Ausreinigung und Stimmung unterzogen werden, und ein Jahr später fand jenes denkwürdige erste Kirchenkonzert statt, das auch in der einheimischen Presse ein sehr positives Echo fand, und dem noch viele derartige Veranstaltungen folgen sollten.

Kirchenkonzerte wurden damals „Kirchenmusikalische Weihestunden“ genannt und erhielten mit dem „sakramentalen Segen“ eine gewissermaßen liturgische Note, die erst mit dem II. Vatikanischen Konzil beendet und seither als Kirchenkonzerte mit Eintritt und Applaus veranstaltet werden können. Neben Vorau und Hartberg gab es solche Veranstaltungen in den ersten Nachkriegsjahren nur noch in St. Johann bei Herberstein. Sie waren auch dementsprechend gut besucht.
Von St. Johann aus unternahm Gebetsroither, vor allem in den ersten Jahren, als
Konzertorganisten in der Oststeiermark noch eine absolute Rarität waren, viele
Konzertreisen in die umliegenden Kirchen. Bis ins hohe Alter wurde er nach Vorau, Hartberg, Kaindorf, Ilz, Großsteinbach, Anger, Stubenberg, Großwilfersdorf, Dechantskirchen oder Bad Waltersdorf eingeladen. Legendär sind auch seine Konzerte zur Einweihung neuer Orgeln, z. B. in Fladnitz an der Teichalm, Vorau oder in Kainbach, wo er 1968 gemeinsam mit seinem Bruder eine qualitätsvolle Schleifladenorgel für die Anstaltskirche erwirken konnte.

Bis 1986 hat Wilhelm Gebetsroither täglich die Gottesdienste in der Pfarrkirche St. Johann bei Herberstein musikalisch gestaltet, bis zum Jahr 2000 war er hier und in Maria Fieberbründl als Organist aktiv, in der Wallfahrtskirche konnte er zweimal eine Orgelweihe miterleben, 1956 und 1994. Im Sommer 1996 war es noch einmal möglich, zwei große Orgeln zu bespielen: die von ihm schon vorher mehrfach besuchte Bruckner-Orgel in St. Florian und die Marcussen-Orgel im Linzer Dom, wo es ihm eine Freude war, längere Zeit alle Klangfarben dieser Instrumente ausgiebig vorzuführen. Die letzten Jahre seines Lebens konnte er daheim verbringen, und es war erstaunlich, ihn als geduldigen und nicht hadernden Menschen zu erleben, dem langsam die Kräfte entschwanden, bis er am 9. Dezember 2004 ein ereignisreiches Leben, das in so vieler Hinsicht der Musik gewidmet war, ruhig und gefasst beendete.